Kühe grasen auf der großen, grünen Weide. Hühner laufen frei herum. Schweine wühlen in der Erde. Die Tiere sind gesund, führen ein glückliches Leben. Dieses Bild will die Fleisch-, Milch- und Eier-Industrie dem Verbraucher vermitteln. Die Realität ist jedoch eine andere: Ein Großteil der Tiere lebt auf engstem Raum mit tausenden Artgenossen zusammen und sieht erst dann das Tageslicht, wenn sie zum Schlachter abtransportiert werden. Damit Konsumenten tierischer Produkte wissen, was hinter den Türen in den Betrieben geschieht, schleusen sich Vereine wie SOKO Tierschutz in solche Betriebe ein, um Aufnahmen zu machen und diese den Medien zuzuspielen. SOKO-Gründer Friedrich Mülln (Foto: Mülln) arbeitet seit 26 Jahren undercover. Im zweiten Teil des Interviews spricht der Tierrechtler über seinen Vater und darüber, wie lange es die Massentierhaltung seiner Meinung nach noch geben wird.

Dein Vater hat in der Fleischindustrie gearbeitet. Wie war es für ihn, als Du vegan geworden bist und dann auch noch zum Aktivisten wurdest?

Es war gar nicht so problematisch, wie man sich das vorstellt. Mein Vater wusste ja, was die Fleischindustrie für ein Drecksladen ist. Da hat er auch keinen Hehl draus gemacht. Manchmal hat er am Frühstückstisch davon erzählt, wenn er  wieder Gammelfleisch gesehen hat. Aber natürlich gab es erstmal eine Maximalkonfrontation, gerade wenn man in der Jugend mit 14 Jahren Tierrechtler wird. An den Schafkopf meines Vaters, der im Kühlschrank lag, habe ich ein Schild dran gemacht, wo drauf stand „Ich wurde ermordet“. Da gab es natürlich schon Reibereien. Aber im Großen und Ganzen ging es ganz gut und er hat mir auch in den Jahren danach viel geholfen und einige seiner Geschäftspartner ans Messer geliefert, um mir damals die Möglichkeit zu bieten, Undercover-Recherchen zu machen. Er wusste insgeheim, dass diese Branche falsch ist und das wissen ganz viele Leute in der Fleischindustrie. Deswegen mahne ich auch davor, die Leute zu verdammen oder zu dämonisieren. Das sind auch Leute, die wir überzeugen können und das sind sogar Leute, die teilweise ganz schön einfach zu überzeugen sind.

Was rätst Du jemandem, der aktiv werden möchte?

Am besten Anschluss suchen an andere Aktivisten. Zusammen lässt sich das besser machen. Es gibt ja inzwischen bundesweit überall Ortsgruppen verschiedener Organisationen. Da muss man einfach mal reinschnuppern und gucken, welche Arbeit einem gefällt. Ich habe mir auch erstmal alles angeschaut. Ich war auf Jagdsabotagen, ich habe Schlachthöfe besetzt und Hühner befreit. Irgendwann wusste ich, mein Ding sind die Recherchen, die Aufdeckung und die Informationsarbeit über die Medien. Ich würde nur sagen, dass man sich nicht dazu verleiten lassen soll, Straftaten zu begehen oder zu denken, dass man mit krimineller Energie oder Terror für die Tiere was erreichen kann. Das bewirkt genau das Gegenteil.

Du meinst zum Beispiel Morddrohnugen?

Kriminelle Energie ist mit Sicherheit nicht, ein geschundenes Huhn aus einer Haltung zu retten. Kriminelle Energie ist Bedrohung, Angst schaffen, Anrufe, Beschmierungen, Sachbeschädigungen. Es trifft zwar keine Lebewesen, aber ich finde, unser Rechtsstaat ist zu achten. Und ich finde, wenn wir den als Instrument gegen die Tierausbeutung nutzen wollen, können wir auf der anderen Seite nicht so tun, als würde er nicht existieren.

Umgekehrt wurde sowohl SOKO Tierschutz als auch Du persönlich schon oft bedroht. Wie gehst Du mit solchen Anfeindungen um?

Das ist nicht einfach. Es gab verschiedene, zum Teil im großen Stil angelegte Schmutzkampagnen gegen SOKO Tierschutz und gegen mich persönlich. Das ist schwer zu ertragen, besonders, da ich ein Gerechtigkeitsfreak bin und es frustrierend finde, wenn der Rechtsstaat bei der Verfolgung solcher Straftaten gegen mich völlig versagt.  

Du bist inzwischen ziemlich bekannt. Schränkt das Deine Arbeit ein?

Mich scheinen nur Tankstellen-Bedienstete und Deutsche-Bahn-Mitarbeiter zu erkennen. Das sind die, die mich ansprechen und sagen, sie sind doch der aus „Stern TV“. Ansonsten reicht eine Mütze oder eine andere Brille aus. Natürlich würde man mich bei dem Tierversuchslabor Covance, wo ich 2003 undercover war, nicht mehr reinlassen. Aber ich arbeite ja sehr viel mit Leuten zusammen, die völlig unangetastet sind und keine Bekanntheit haben, aber mit erstaunlich vielen Sachen komme ich noch durch, das wundert mich selbst.

„Ich denke, ich bin eine der optimistischsten Personen in der Tierrechtsbewegung.“

Friedrich Mülln, SOKO Tierschutz

Wie zufrieden bist Du mit der Darstellung Deiner Arbeit in den Medien?

Angemessen an der Wichtigkeit dieses Themas werden viele Inhalte nicht gut genug transportiert und nicht ausführlich genug behandelt. Die Medien stehen immer mehr unter Druck. Alles muss immer schneller, immer größer sein. Aber ansonsten haben wir in Deutschland immer noch eine sehr gute Position, weil wir eine sehr gute Medienlandschaft haben, sowohl durch die öffentlich-rechtlichen als auch durch die Privatsender. SOKO Tierschutz schafft es auf 40 bis 60 TV-Berichte pro Jahr und hunderte Printberichte. Das beweist, dass es offensichtlich gut funktioniert, auch komplexe, schwierige Themen, die nicht zu Hurra-Rufen bei den Lesern führen, zu transportieren. „Stern-TV“ merkt das immer wieder an der Quote, wenn sie über Tierausbeutung berichten. Das kostet den Sender eigentlich Geld. Nichts desto trotz bringen sie jedes Jahr mehrfach solche kontroversen, schwierigen und grausamen Themen und das zeigt, dass der Journalismus in der deutschen Demokratie gut funktioniert.

Bei all dem Tierleid, dass Du gesehen hast, kannst Du da eigentlich noch positiv in die Zukunft blicken?

Total. Ich denke, ich bin eine der optimistischsten Personen in der Tierrechtsbewegung. Ich bin so nah dran und dadurch sehe ich einfach, was die Einschläge dieser Bewegung, der Öffentlichkeitsarbeit, der ganzen Proteste, der Medienauftritte, bewirken. Ich sehe Animal Rights History in the making. Ich fahre durch die Gegend und weiß, auf der grünen Wiese stand früher mal eine Nerzfarm mit zehntausend Nerzen, da ist heute nur noch eine grüne Wiese. Ich sehe, wie das vegane Angebot in den Supermärkten quasi explodiert. Im letzten Winkel Deutschlands, selbst in einer Landgaststätte werde ich nicht mehr krumm angeschaut, sondern man kann mir etwas veganes anbieten. Es sind so viele Dinge, die optimistisch stimmen sollten, sodass man eigentlich gar keinen Grund hat, sich trotz all dieses Leids runterziehen zu lassen und ich denke, das ist auch der Grund, warum ich das seit 26 Jahren mache. Andere, die mit mir in den 90er-Jahren angefangen haben, sind längst andere Wege gegangen.

Wie lange glaubst Du, wird es die Massentierhaltung noch geben?

Ich schätze mal noch 20 Jahre. Das wird jetzt relativ schnell gehen. Die Leute denken immer, das dauert Jahrhunderte, aber das geht sehr schnell. Ich vergleiche das ganz gerne mit dem Diesel. Vor fünf oder sechs Jahren hätte jeder gesagt, Diesel ist die Zukunftstechnologie und das wird Jahrzehnte so bleiben. Jetzt sprechen wir davon, dass in fünf Jahren vielleicht keine Diesel-Fahrzeuge mehr hergestellt werden müssen, obwohl das eine große, mächtige Industrie ist. Das gleiche gilt für andere Verbrennungsmotoren. Ich bin sehr optimistisch, dass ich das noch erleben werde.

Woran wird die Wende abzumachen sein?

Neben dem Faktor Mensch, dass immer mehr Leute aufwachen, sind die zwei wichtigen Faktoren zum einen die globale Erwärmung, die die Massentierhaltung quasi unmöglich machen wird. Und das andere ist moderne Technologie. Das ist der größte Feind dieser rückständigen Systeme. Ob der der Landwirtschaft oder der Tierversuche. Moderne Technologie wird die Tierversuche killen und Clean Meat (Laborfleisch) werden der Fleischindustrie den Garaus machen.

  • HIER geht es zu Teil I des Interviews mit Friedrich Mülln.
  • Willst Du zukünftig auf dem Laufenden gehalten werden? Dann abonniere unseren Newsletter!