SOKO Tierschutz

„Sie haben mich angeschaut, als ob ich der größte Verräter wäre“

Als Kind verdient er sich sein Taschengeld als Mäusefänger, mit dem Vater geht er als Jugendlicher jagen und macht eine Ausbildung zum Metzger mit Fachrichtung Schlachtung. Heute wäre das frühere Ich von Phil Hörmann (Foto: Tanja El Kabid) wohl einer seiner größten Widersacher. Welches Erlebnis dazu geführt hat, das er heute vegan lebt und für den Verein SOKO Tierschutz aktiv ist, erzählt der Allgäuer im folgenden Interview.

Du warst mit 16 Jahren einer der jüngsten Jäger in Bayern. Wie kam es dazu?

Ich bin in einer Jägerfamilie groß geworden. Mein Vater war und ist immer noch Jäger. Ich war da schon als kleiner Bub leidenschaftlicher Begleiter und konnte es dann kaum erwarten, bis ich mit der Jägerausbildung anfangen durfte.

Mit 18 Jahren bist Du dann ausgebildeter Metzger mit Fachrichtung Schlachtung gewesen. War das damals für Dich eine Berufung?

Ich sage mal so, das Ganze wird einem natürlich anerzogen, wenn man in diesem System groß wird. Der Metzger, bei dem ich die Lehre gemacht habe, hat bei meinem Vater auf dem Hof die Tiere abgeholt. Damals war das noch so, dass die kleine Ortsmetzgerei die Tiere beim Bauern abgeholt hat. Dieser Metzger hat meinen Vater schon darauf vorbereitet, dass er ganz dringend einen Gesellen braucht, als ich so langsam mit der Schule fertig war. Das Tier ausweiden und das Fell abziehen gehört auch zur Tätigkeit eines Jägers. Die direkte Verbindung zum Metzger- beziehungsweise Schlachterberuf war also da.

Du bist auf einem Bauernhof groß geworden. Die Tiere, die dort gelebt haben, hatten sicherlich Namen und Du hast eine Beziehung zu ihnen aufgebaut. Kannst Du Dich noch daran erinnern, wie es als Kind für Dich war, wenn die Tiere zum Schlachter kamen?

Meine Erinnerungen sind daran ein bisschen verschwommen. Aber ich habe das Ende dieser Tiere nie infrage gestellt, weil es mir so anerzogen wurde. Da gab es gar keinen anderen Weg, es war ein Nutztier und am Ende stand die Schlachtung. Das war normal.

Kannst Du dich noch daran erinnern, wie Du zum ersten Mal ein Tier getötet hast?

Konkret erinnern kann ich mich nicht. Allerdings habe ich schon als kleiner Junge mein Taschengeld mit dem Fangen von Wühlmäusen auf den Wiesen verdient. Es gab regelrechte Mäuseplagen, die das Futter für die Tiere unbrauchbar gemacht haben durch die großen Erdhügel. Meine Eltern und auch die Nachbarn haben mir damals schon 50 Pfennig pro Maus bezahlt und ich habe da ein regelrechtes Mäusefang-Gewerbe aufgebaut. Das war eine notwendige Tätigkeit, um die Futterqualität für die anderen Tiere zu erhöhen. Alles, was ich als Kind gemacht habe, hat für mich absolut Sinn ergeben.

Aus dem großen Traum von einem Freiland-Schweinegehege
wurde ein noch viel größerer Albtraum.

Wann und warum hast Du begonnen, Deinen Beruf und deine bisherige Lebensweise infrage zu stellen?

Rückblickend war es aus heutiger Sicht ziemlich spät. Aber ich bin froh, dass mir die Augen geöffnet wurden. Ganz konkret hat dieser Umdenkprozess schon vor vielen Jahren begonnen, allerdings im Ansatz noch falsch. Ich war so ab 2013 der Meinung, dass man mit einer artgerechten Tierhaltung die Welt verbessern könnte. 2015 habe ich dann meinen Traum als Nebengewerbe umgesetzt und ein Freiland-Schweinegehege auf 1,5 Hektar Land gebaut. Mein Vater hatte damals seinen Milchbetrieb aufgegeben. Im April 2015 sind dann dort meine ersten 34 Freilandschweine eingezogen. Dieser Sommer ist mir als einer der schönsten in Erinnerung geblieben. Ich habe fast nur noch da draußen auf dem Freilandgehege mit den Tieren gelebt. Die haben mir Stöckchen apportiert, die haben sich hingelegt, damit ich ihren Bauch kraule. Das war eine Beziehung wie zu einem Hund, wenn nicht sogar noch intensiver. Schweine sind intelligente Tiere, wenn man sie so sein lässt, wie sie sind. Aus diesem großen Traum wurde gegen Ende des Jahres ein noch viel größerer Albtraum. Denn jedes dieser Schweine hatte mittlerweile einen Besitzer, der mich für die Aufzucht und Mast bezahlt hat. Und dann kam der Tag, an dem ich sie auf den Tiertransporter verladen und für meine Kunden ins Schlachthaus bringen musste. Mir war natürlich als Metzger klar, was sie hinter diesen Mauern erwartet. Der eigentliche Plan war, dass ich bei der Schlachtung dabei bin und das für die Öffentlichkeit festhalte. Das konnte ich dann aber nicht mehr, weil mich das so aus der Bahn geworfen hat: Die Tiere haben mich angeschaut, als ob ich der größte Verräter wäre – und das war ich ja auch. Die wussten ganz genau, was jetzt passiert und das ich sie quasi dem Tod ausliefere.

Für die Öffentlichkeit festhalten heißt, Du wolltest zeigen, wie artgerechte Haltung funktioniert?

Genau. Das Leben der Schweine konnte ich sehr erfolgreich vermarkten. Das Gehege lag an einer öffentlichen Straße. Ich habe das fast wie ein Nationalpark aufgebaut. An einem schönen Wochenende waren mehrere hundert Leute am Zaun, darunter viele Kinder. Die durften teilweise auch ins Gehege hinein unter meiner Aufsicht. Der Vermarktungsplan ging voll auf. Er hatte nur einen gravierenden Fehler – und das war das Ende. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass gerade das schöne und „artgerechte“ Leben der Tiere  noch viel weniger den Tod für sinnlose Lebensmittel rechtfertigt. Wenn wir mit glücklichen Tieren anfangen wollen, würde es Sinn machen, wenn wir in Deutschland erst einmal alle Hunde und Katzen schlachten. Die genießen ein viel schöneres Leben und haben einen viel höheren Status als die Nutztiere.

Wie ist es letztendlich dazu gekommen, dass Du vegan geworden bist?

Eines der Freilandschweine, die ich gehalten habe, war für meinen beziehungsweise den Verzehr meiner Familie gedacht. Davon habe ich noch ziemlich genau zwei Steaks gegessen und danach war das Thema für mich beendet. Ich wurde Vegetarier. Und an Silvester 2016 habe ich gesagt, dass ich ab jetzt vegan lebe und dass sich das nicht mehr ändern wird. Inzwischen ist meine Überzeugung noch um ein Vielfaches gewachsen. Ich habe bisher nicht einmal daran gedacht, in alte Strukturen zurückzukehren. Heute tun mir die Opfer meines Konsums von früher sehr leid.

Wie hat Deine Familie und Dein engeres Umfeld darauf reagiert, dass Du Dich entschieden hast, vegan zu leben?

Die dachten: Zuerst arbeitet er in vier Berufen der Nutztierausbeutung und Tötung, dann wird er Berufsfeuerwehrmann und Menschenretter, dann bildet er sich ein, dass er die Welt mit artgerechter Schweinehaltung als Hobby verändern kann und ein Jahr später wird er Vegetarier und dann ein Jahr später Veganer. So ungefähr kam das bei meinem Umfeld an. Wobei das für mich trotzdem Sinn macht. Ich habe mich einfach immer weiterentwickelt. Es kamen durch die Beschäftigung mit diesen Themen immer neue Erkenntnisse hinzu. Und aus diesen Erkenntnissen habe ich einfach konsequente Schritte für mein eigenes Leben abgeleitet. Da gab es eigentlich gar keine andere Möglichkeit.

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Welche Missstände hast Du während der Ausübung Deines Berufes wahrgenommen?

Mittlerweile ist das 20 Jahre her. Ich kam damals frisch aus der Schule und war sehr jung. Die Arbeit ist damals wahnsinnig hart gewesen. Arbeitsschutz war da eher ein Fremdwort. Der Arbeitsalltag begann um 5 Uhr. Teilweise wurden davor noch Tiere eingesammelt und gewogen. Die Arbeit an sich ist immer ein Wechselbad von extrem heiß zu kalt: Wenn ich an die Schlachttage zurückdenke, da läuft in diesen kleinen Schlachthäusern eine Brühmaschine, aus der permanent sehr heißer Wasserdampf entströmt. Da stand ich in voller Montur mit Gummistiefeln, Schutzhandschuhen und Plastikschürze und war schweißgebadet. Auch im Sommer ohne Klimaanlage. Umgekehrt war es im Winter bitterkalt. Man kann diese Räumlichkeiten nicht heizen, das geht nicht, wenn man mit gekühlten Produkten arbeiten muss. Außerdem arbeitet man in Gefrierräumen und relativ lang in Kühlräumen. Dann ist man im Kochraum, wo die Würste gebrüht und geräuchert werden. Es ist ständig ein Wechsel zwischen den Temperaturen. Man wurde als Jugendlicher auch nicht wirklich geschont. Ich habe auch die Rinderhälften tragen müssen, die weit über hundert Kilo gewogen haben, damals ein Vielfaches von meinem eigenen Gewicht. Da musste man einfach durch, es gab keine Wiederworte. Was die Meister und Chefs gesagt haben, war damals in Stein gemeißelt. Da haben ganz andere Sitten geherrscht.

Und wenn man schon dazu erzogen wird, den Mund zu halten, stellt man solche Prozesse wahrscheinlich auch weniger infrage.

Ja, das ist richtig. Es gab an der Schlachtung von Tieren überhaupt keinen Zweifel. Was ich schon mitbekommen habe, war teilweise der Umgang mit den Tieren, der mich schon damals gestört hat. Ich war schon jemand, der darauf geachtet hat, dass es im Rahmen der Möglichkeiten so korrekt wie möglich abläuft. Ich würde heute niemals das Wort „humane Schlachtung“ in den Mund nehmen. Denn es gibt auch keine „humane Vergewaltigung“. Das ist eine absolute Traumvorstellung, mit der sich die Verbraucher ihren eigenen Konsum schön reden wollen. Ich sag es, so wie es ist: es bleibt eine bestialische Tötung. Wir haben Betäubungsmethoden, die dem Mittelalter entsprechen. Sogar die modernen Varianten haben überhaupt nichts mit einem sanften Sterben zu tun. Den Leuten wird erzählt, dass die Schweine beim Vergasen einschlafen. Das ist absolut erstunken und erlogen. Die Tiere ersticken bestialisch und der Todeskampf dauert viele, viele Sekunden, bis zu einer Minute. Wer sich das nicht vorstellen kann, soll einfach mal testen, wie lange er die Luft anhalten kann und wie sich das dann anfühlt.

Wie bist Du selbst, wie sind deine Kollegen damit umgegangen?

Wie in jedem belastenden Beruf  stumpft man aus Eigenschutzgründen ab. Das ist auch als Feuerwehrmann so und beim Rettungsassistenten. Um sich selbst zu schützen, kann man sich nicht mit jedem einzelnen Schicksal auseinandersetzen. Man darf das Leid nicht zu sehr an sich heranlassen, weil es einen sonst selbst zerstört.

Man hat da unter Kollegen also gar nicht drüber gesprochen?

Nein. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Wenn der Fliesenleger ein Fehler macht, fallen die Fliesen von den Wänden. Wenn der Metzger einen Fehler macht, steht das Tier noch nach der Betäubung auf den Beinen oder schreit bestialisch. Im schlimmsten Fall wird es halb lebendig aufgeschnitten. Diese Fehler kommen vor. Jeder, der jemals hinter Schlachthofmauern gearbeitet hat, weiß, wie es da zugeht und was der Zeitdruck und der Druck der Kollegen bewirken kann und das Tiere, die einfach nicht laufen wollen oder sich wehren, irgendwann den eigenen Geduldsfaden reißen lassen. Und das erklärt auch, warum es in einem Schlachthof oder in einer kleinen Metzgerei – ich mache da keinen Unterschied zwischen einem kleinen und einem großen Betrieb – tagtäglich bestialisch zugeht.

Der gelernte Metzger Phil Hörmann ist heute für den Verein SOKO Tierschutz tätig. Foto: Tanja El Kabid

Das heißt, ob Großbetrieb oder „Metzger des Vertrauens“ – es läuft überall gleich?

Die Prozesse sind immer die gleichen. Wie auch bei den Bauerhöfen kommt es nicht darauf an, ob ein Bauer 1500 Tiere hat oder 100. Wenn der Mensch nicht richtig tickt, gibt es Tierquälerei. Gerade auch der „Metzger des Vertrauens“ ist mir im Rahmen meiner Recherchearbeit für SOKO Tierschutz häufiger untergekommen. Die Verstöße waren teilweise schwerwiegender als in einem großen Schlachthof.

Woran liegt das?

Gerade Bio-Tiere sorgen bei der Schlachtung für Probleme. Diese Tiere sind kräftiger gebaut, kommen aus der Weidehaltung und haben teilweise wenig Menschenkontakt. An ihrem letzten Tag, wenn sie in den Schlachthof getrieben werden, haben sie viel mehr Stress, als ein konventionelles Tier, das an Menschen gewöhnt ist und sowieso schon sein Leben lang eingesperrt war. Dazu kommen feine Details: sie haben zum Beispiel Hörner und eine wahnsinnig starke Schädelbehaarung. Das sind Faktoren, die sich sehr negativ auf die Betäubung auswirken.

Das heißt, es passieren ausgerechnet bei Bio-Tieren oftmals Fehler, sodass das Tier länger leidet?

Ja. Die Tiere sind einfach teilweise viel zu kräftig für diesen mickrigen Bolzenschussapparat. Die großen Hörner sorgen dafür, dass sich die Tiere in den standardisierten Betäubungsboxen, in denen normalerweise fast nur hornlose Tiere einmarschieren, verhängen, einklemmen und Panik bekommen. Die starke Behaarung auf dem Schädel bestimmter Rassen sorgt dafür, dass von diesen 8 bis 12 Zentimetern Bolzenlänge des Betäubungsapparates entscheidende Zentimeter fehlen, die nicht ins Gehirn eindringen.

Bei SOKO Tierschutz kannst Du Dich aufgrund deiner Erfahrung gut einbringen. Welche Aufgaben übernimmst du im Verein?

Als Fachmann beschäftige ich mich primär mit der Auswertung des Recherchematerials. Zuletzt habe ich mich immer mehr in der Öffentlichkeitsarbeit eingebracht und werde in Zukunft weitere Aufgaben in diesem Bereich übernehmen.

Hast Du als Aktivist auch schon undercover als Schlachter gearbeitet?

Ja. Ich habe mich da für die härteste Variante als Einstieg in die Tierrechtsarbeit entschieden. Ende 2017 habe ich mich bei einem sehr großen „McDonalds“-Schlachthof in NRW mit meinem Metzgergesellenbrief beworben und dann dort undercover mit versteckten Kameras in der Kopfschlächterkolonne mitgearbeitet.

In meiner Naivität bin ich in den Schlachthof hinein marschiert, dachte, dass sich […] etwas geändert hat […] und fand mich in einem blutigen Abtraum wider.

Wie war es für Dich, nachdem Du vegan geworden bist, diesen Beruf wieder auszuüben und Tiere zu töten?

Ich habe mich damals strategisch um Tötungsaufgaben herum geschummelt und nicht aktiv am Tötungsprozess teilgenommen. Wenn man allerdings die wichtigen Filmaufnahmen machen möchte, dann muss man genau an dieser Stelle stehen. Das war ein schmaler Grat zwischen nicht auffallen, keine Tiere töten und direkt an der Front sein. Das war ein relativ schwieriges Unterfangen und das hat mich auch extrem belastet. Ich war auch im Hinblick auf die Tötung meiner Freilandschweine psychisch noch sehr vorbelastet. Und dann ging es an meinem ersten Arbeitstag gleich in der Früh mit Schweinen los. Das war für mich wahnsinnig hart. Die Dimensionen eines Großschlachthofes mit Akkordfließbandarbeit kannte ich natürlich aus der Lehre bei einem kleinen Dorfmetzger nicht. In meiner Naivität bin ich da in den Schlachthof hinein marschiert und dachte, dass sich innerhalb von zwei Jahrzehnten seit meiner Lehre an den Betäubungsmethoden und am Umgang mit den Tieren etwas verbessert hat. Ich wurde innerhalb von Minuten eines Besseren belehrt und fand mich in einem blutigen Albtraum wider.

Von dort aus wurdest Du an einen Bio-Schlachthof weitervermittelt.

Genau. Ich hab mich da durchgebissen, weil ich das auch noch mitnehmen wollte. Dort konnte ich dann ganz klar die Unterschiede zwischen dem Großschlachthof mit schlechtem Ruf und dem Schlachthof für Bio-Tiere, der ein großes Ansehen in der Öffentlichkeit genießt, vergleichen. Im Bio-Schlachthof Eschweiler habe ich eines der längsten Videos, die es im Bereich der Rinder-Schlachtung gibt, gedreht. Dort habe ich einen kompletten Tag direkt an der Betäubungsbox gearbeitet. Zu meinem eigenen Erstaunen hatte dieser Bio-Betrieb nahezu die gleiche Fehlbetäubungsrate wie der „McDonalds“-Schlachthof, obwohl dort teilweise alle 30 Sekunden ein Tier niedergeschossen wurde und in Eschweiler der Betäuber an der Box teilweise für drei Tiere eine Stunde Zeit hatte. Die Größe eines Betriebes spielt überhaupt keine Rolle, denn das Grundsystem ist brutal, bestialisch und gewalttätig.

Glaubst Du, dass die Vorstellung einer veganen Welt realistisch ist?

Ich halte das durchaus für realistisch, vertrete aber eine etwas andere Meinung als der Großteil der veganen Bewegung. Ich denke, dass die Aufklärungsarbeit und die Recherchen nur einen kleinen Teil dazu beitragen werden, dass das System irgendwann untergehen wird. Es ist vielmehr das System selbst, dass sich und die Menschheit aktuell gut sichtbar selbst vernichtet: Wenn man sich anschaut, wie viele Ressourcen dafür verwendet werden, um Tiere zu halten und Futtermittel anzubauen. Man sieht auch hier im Allgäu, wo ich herkomme und wo wir aktuell einen Skandal aufgedeckt haben, das Höfesterben. Die Betriebe werden immer größer, das System wir immer brutaler und gerät immer mehr außer Kontrolle. Wir werden dafür sorgen, dass das Ganze nicht weiter ausufern wird. Entscheidend wird aber auch das Wetter sein. Wir haben selbst in Deutschland schon mit Dürreperioden zu kämpfen. Tiere müssen wegen Futtermangel geschlachtet werden. Milchkühe geben nicht mehr genug Milch, weil sie nicht mehr genug zu Fressen bekommen. Das Wasser wird knapp, und so weiter. Diese Faktoren werden um ein vielfaches mehr dafür verantwortlich sein, dass das System der Tierausbeutung in einigen Jahren in diesem Stil nicht mehr praktikabel ist.

  • Der Verein SOKO Tierschutz wurde von Friedrich Mülln gegründet. Hier findest Du Teil 1 und Teil 2 des Interviews mit dem Tierrechtler.
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„Ich bin ein Gerechtigkeitsfreak“

Kühe grasen auf der großen, grünen Weide. Hühner laufen frei herum. Schweine wühlen in der Erde. Die Tiere sind gesund, führen ein glückliches Leben. Dieses Bild will die Fleisch-, Milch- und Eier-Industrie dem Verbraucher vermitteln. Die Realität ist jedoch eine andere: Ein Großteil der Tiere lebt auf engstem Raum mit tausenden Artgenossen zusammen und sieht erst dann das Tageslicht, wenn sie zum Schlachter abtransportiert werden. Damit Konsumenten tierischer Produkte wissen, was hinter den Türen in den Betrieben geschieht, schleusen sich Vereine wie SOKO Tierschutz in solche Betriebe ein, um Aufnahmen zu machen und diese den Medien zuzuspielen. SOKO-Gründer Friedrich Mülln (Foto: Mülln) arbeitet seit 26 Jahren undercover. Im zweiten Teil des Interviews spricht der Tierrechtler über seinen Vater und darüber, wie lange es die Massentierhaltung seiner Meinung nach noch geben wird.

Dein Vater hat in der Fleischindustrie gearbeitet. Wie war es für ihn, als Du vegan geworden bist und dann auch noch zum Aktivisten wurdest?

Es war gar nicht so problematisch, wie man sich das vorstellt. Mein Vater wusste ja, was die Fleischindustrie für ein Drecksladen ist. Da hat er auch keinen Hehl draus gemacht. Manchmal hat er am Frühstückstisch davon erzählt, wenn er  wieder Gammelfleisch gesehen hat. Aber natürlich gab es erstmal eine Maximalkonfrontation, gerade wenn man in der Jugend mit 14 Jahren Tierrechtler wird. An den Schafkopf meines Vaters, der im Kühlschrank lag, habe ich ein Schild dran gemacht, wo drauf stand „Ich wurde ermordet“. Da gab es natürlich schon Reibereien. Aber im Großen und Ganzen ging es ganz gut und er hat mir auch in den Jahren danach viel geholfen und einige seiner Geschäftspartner ans Messer geliefert, um mir damals die Möglichkeit zu bieten, Undercover-Recherchen zu machen. Er wusste insgeheim, dass diese Branche falsch ist und das wissen ganz viele Leute in der Fleischindustrie. Deswegen mahne ich auch davor, die Leute zu verdammen oder zu dämonisieren. Das sind auch Leute, die wir überzeugen können und das sind sogar Leute, die teilweise ganz schön einfach zu überzeugen sind.

Was rätst Du jemandem, der aktiv werden möchte?

Am besten Anschluss suchen an andere Aktivisten. Zusammen lässt sich das besser machen. Es gibt ja inzwischen bundesweit überall Ortsgruppen verschiedener Organisationen. Da muss man einfach mal reinschnuppern und gucken, welche Arbeit einem gefällt. Ich habe mir auch erstmal alles angeschaut. Ich war auf Jagdsabotagen, ich habe Schlachthöfe besetzt und Hühner befreit. Irgendwann wusste ich, mein Ding sind die Recherchen, die Aufdeckung und die Informationsarbeit über die Medien. Ich würde nur sagen, dass man sich nicht dazu verleiten lassen soll, Straftaten zu begehen oder zu denken, dass man mit krimineller Energie oder Terror für die Tiere was erreichen kann. Das bewirkt genau das Gegenteil.

Du meinst zum Beispiel Morddrohnugen?

Kriminelle Energie ist mit Sicherheit nicht, ein geschundenes Huhn aus einer Haltung zu retten. Kriminelle Energie ist Bedrohung, Angst schaffen, Anrufe, Beschmierungen, Sachbeschädigungen. Es trifft zwar keine Lebewesen, aber ich finde, unser Rechtsstaat ist zu achten. Und ich finde, wenn wir den als Instrument gegen die Tierausbeutung nutzen wollen, können wir auf der anderen Seite nicht so tun, als würde er nicht existieren.

Umgekehrt wurde sowohl SOKO Tierschutz als auch Du persönlich schon oft bedroht. Wie gehst Du mit solchen Anfeindungen um?

Das ist nicht einfach. Es gab verschiedene, zum Teil im großen Stil angelegte Schmutzkampagnen gegen SOKO Tierschutz und gegen mich persönlich. Das ist schwer zu ertragen, besonders, da ich ein Gerechtigkeitsfreak bin und es frustrierend finde, wenn der Rechtsstaat bei der Verfolgung solcher Straftaten gegen mich völlig versagt.  

Du bist inzwischen ziemlich bekannt. Schränkt das Deine Arbeit ein?

Mich scheinen nur Tankstellen-Bedienstete und Deutsche-Bahn-Mitarbeiter zu erkennen. Das sind die, die mich ansprechen und sagen, sie sind doch der aus „Stern TV“. Ansonsten reicht eine Mütze oder eine andere Brille aus. Natürlich würde man mich bei dem Tierversuchslabor Covance, wo ich 2003 undercover war, nicht mehr reinlassen. Aber ich arbeite ja sehr viel mit Leuten zusammen, die völlig unangetastet sind und keine Bekanntheit haben, aber mit erstaunlich vielen Sachen komme ich noch durch, das wundert mich selbst.

„Ich denke, ich bin eine der optimistischsten Personen in der Tierrechtsbewegung.“

Friedrich Mülln, SOKO Tierschutz

Wie zufrieden bist Du mit der Darstellung Deiner Arbeit in den Medien?

Angemessen an der Wichtigkeit dieses Themas werden viele Inhalte nicht gut genug transportiert und nicht ausführlich genug behandelt. Die Medien stehen immer mehr unter Druck. Alles muss immer schneller, immer größer sein. Aber ansonsten haben wir in Deutschland immer noch eine sehr gute Position, weil wir eine sehr gute Medienlandschaft haben, sowohl durch die öffentlich-rechtlichen als auch durch die Privatsender. SOKO Tierschutz schafft es auf 40 bis 60 TV-Berichte pro Jahr und hunderte Printberichte. Das beweist, dass es offensichtlich gut funktioniert, auch komplexe, schwierige Themen, die nicht zu Hurra-Rufen bei den Lesern führen, zu transportieren. „Stern-TV“ merkt das immer wieder an der Quote, wenn sie über Tierausbeutung berichten. Das kostet den Sender eigentlich Geld. Nichts desto trotz bringen sie jedes Jahr mehrfach solche kontroversen, schwierigen und grausamen Themen und das zeigt, dass der Journalismus in der deutschen Demokratie gut funktioniert.

Bei all dem Tierleid, dass Du gesehen hast, kannst Du da eigentlich noch positiv in die Zukunft blicken?

Total. Ich denke, ich bin eine der optimistischsten Personen in der Tierrechtsbewegung. Ich bin so nah dran und dadurch sehe ich einfach, was die Einschläge dieser Bewegung, der Öffentlichkeitsarbeit, der ganzen Proteste, der Medienauftritte, bewirken. Ich sehe Animal Rights History in the making. Ich fahre durch die Gegend und weiß, auf der grünen Wiese stand früher mal eine Nerzfarm mit zehntausend Nerzen, da ist heute nur noch eine grüne Wiese. Ich sehe, wie das vegane Angebot in den Supermärkten quasi explodiert. Im letzten Winkel Deutschlands, selbst in einer Landgaststätte werde ich nicht mehr krumm angeschaut, sondern man kann mir etwas veganes anbieten. Es sind so viele Dinge, die optimistisch stimmen sollten, sodass man eigentlich gar keinen Grund hat, sich trotz all dieses Leids runterziehen zu lassen und ich denke, das ist auch der Grund, warum ich das seit 26 Jahren mache. Andere, die mit mir in den 90er-Jahren angefangen haben, sind längst andere Wege gegangen.

Wie lange glaubst Du, wird es die Massentierhaltung noch geben?

Ich schätze mal noch 20 Jahre. Das wird jetzt relativ schnell gehen. Die Leute denken immer, das dauert Jahrhunderte, aber das geht sehr schnell. Ich vergleiche das ganz gerne mit dem Diesel. Vor fünf oder sechs Jahren hätte jeder gesagt, Diesel ist die Zukunftstechnologie und das wird Jahrzehnte so bleiben. Jetzt sprechen wir davon, dass in fünf Jahren vielleicht keine Diesel-Fahrzeuge mehr hergestellt werden müssen, obwohl das eine große, mächtige Industrie ist. Das gleiche gilt für andere Verbrennungsmotoren. Ich bin sehr optimistisch, dass ich das noch erleben werde.

Woran wird die Wende abzumachen sein?

Neben dem Faktor Mensch, dass immer mehr Leute aufwachen, sind die zwei wichtigen Faktoren zum einen die globale Erwärmung, die die Massentierhaltung quasi unmöglich machen wird. Und das andere ist moderne Technologie. Das ist der größte Feind dieser rückständigen Systeme. Ob der der Landwirtschaft oder der Tierversuche. Moderne Technologie wird die Tierversuche killen und Clean Meat (Laborfleisch) werden der Fleischindustrie den Garaus machen.

  • HIER geht es zu Teil I des Interviews mit Friedrich Mülln.
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„Das Tierleid frisst sich in einen hinein“

Kühe grasen auf der großen, grünen Weide. Hühner laufen frei herum. Schweine wühlen in der Erde. Die Tiere sind gesund, führen ein glückliches Leben. Dieses Bild will die Fleisch-, Milch- und Eier-Industrie dem Verbraucher vermitteln. Die Realität ist jedoch eine andere: Ein Großteil der Tiere lebt auf engstem Raum mit tausenden Artgenossen zusammen und sieht erst dann das Tageslicht, wenn sie zum Schlachter abtransportiert werden. Damit Konsumenten tierischer Produkte wissen, was hinter den Türen in den Betrieben geschieht, schleusen sich Vereine wie SOKO Tierschutz in solche Betriebe ein, um Aufnahmen zu machen und diese den Medien zuzuspielen. SOKO-Gründer Friedrich Mülln (Foto: Mülln) arbeitet seit 26 Jahren undercover. Im Interview spricht der Tierrechtler über einschneidende Erfahrungen und was er machen würde, wenn er einmal ins Gefängnis müsste.

Dein allererster Einsatz…

… war eine Pelzfarmrecherche. Da hat mich einfach ein Tierschützer aus Salzburg gefragt, ob ich mitkommen möchte. Ich wusste nicht einmal genau, was das ist. Ich dachte, Recherche macht man in Bibliotheken. Ich bin einfach mitgefahren. Dort habe ich das erste Mal Nerze in einem Käfig gesehen. Wenig später war die Nerzfarm Geschichte und da wusste ich, dass das die Taktik ist, mit der ich mein Leben verbringen möchte.

Wie lange dauert es, einen Einsatz vorzubereiten?

Das kann sehr schnell gehen. Es kommt darauf an, wie professionell man in dem Bereich ist. Wir hatten schon Informanten-Anrufe, nach denen wir innerhalb von 10 Minuten im Auto saßen und losgefahren sind, um etwas zu dokumentieren. Andere Operationen haben wochen- oder monatelange Vorlaufzeit, wo wir erst einmal observieren und Informanten finden müssen, mit denen wir zusammen arbeiten können. Manche Projekte dauern Jahre.

Welche Einsätze haben so lange gedauert?

Zum Beispiel die Max-Planck-Institut-Recherche. Es war erstmal nicht einfach, da überhaupt reinzukommen. Es musste eine passende Person gefunden werden, die psychisch und physisch dazu in der Lage ist, so ein umfangreiches Undercover-Projekt überhaupt durchzuziehen. Wir mussten Technik beschaffen und schon lange im Voraus eine Wohnung anmieten, weil es verdächtig wirkt, wenn man da plötzlich in der Stadt auftaucht.

Die Fühler solcher Unternehmen oder Institute sind also so sensibel, dass sie so etwas schon wahrnehmen?

Die Tierausbeutungsindustrie und speziell die Tierversuchsindustrie ist hochgradig paranoid und sind sich der Gefahr inzwischen überdeutlich bewusst. Deswegen schlagen sie auch so um sich, indem sie versuchen, einen zu diskreditieren. Die Tierversuchsindustrie hat beispielsweise spezielle Firmen engagiert, die Identitäten von Bewerbern prüfen, ob es sich um Tierrechtler handelt.

Jeder, der überlegt, aktiv zu werden, sollte also gut aufpassen?!

Es ist sehr schwierig, es ist sehr gefährlich, man geht große Risiken ein, sowohl körperlich, als auch juristisch. Deswegen ist es schon gut, wenn das Organisationen machen, die sehr viel Erfahrung in dem Bereich haben. Man muss sich auch gut um die Leute kümmern. Was man bei einer Undercover-Aktion erlebt, sind so einschneidende, extreme Erlebnisse. Bei uns betreut immer ein ganzes Team eine Recherche. Es gibt immer eine Person zur Supervision, die zur Ansprache da ist, wenn die Person vom Einsatz zurück kommt und die unter Umständen auch kocht und sich um alles andere kümmert. Wir wollen unsere Leute ja nicht verschleißen. Ansonsten sollte man vorher nicht allzu viele Petitionen unterschrieben haben, sonst gilt man als verbrannt.

Was war das Schlimmste, was Du in den letzten 26 Jahren Deiner Arbeit erlebt hast?

Zwei Erfahrungen von dem, was ich gesehen habe, waren am einschneidensten: Das eine ist der Lebend-Rupf von Gänsen. Ich mag Gänse erstens sehr gerne. Sie sind einfach liebenswürdige und hochintelligente, schöne Wesen. Wenn man dann sieht, wie diese Tiere die ganzen Federn und Daunen ausgerissen bekommen und dann vor lauter Panik an die Wand rennen und bewusstlos zusammenbrechen und das in einer unglaublichen Kakophonie in so einem Raum voller Federn und Schreie –  das vergisst man nicht.

Außerdem der Einsatz im letzten Jahr im Schlachthof Bad Iburg: Einen Schlachthof zu sehen, wo systematisch kranke, sterbende und schwerstverletzte Tiere mit der Seilwinde in den Tod gezerrt werden, weil sie nichtmal mehr gehen können, das dachte ich, wäre in Deutschland nicht möglich, aber man lernt nie aus.

Wie verarbeitest Du solche Erlebnisse?

Ich gehe damit sehr professionell um. Ich mache das schon sehr lange und habe sehr viel gesehen. Ich vergleiche das immer mit einem Rettungssanitäter. Wenn der seinen zwanzigsten offenen Bruch gesehen hat, denkt er nur daran, wie er die Notversorgung durchführen kann. Genauso ist es, wenn ich vor einer schrecklichen Szene stehe. Ich überlege dann, wie ich das technisch umsetzen kann und wie ich die Aufnahmen gut gesichert bekomme. Aber nichts desto trotz bin ich nicht aus Stahl. Das geht an einen ran und das wird auch nie enden. Es ist nicht so, dass ich immun gegen das ganze Leid bin. Aber man muss einfach lernen, damit umzugehen und auch Auszeiten finden, in denen man sich wieder Kraft zurückholt. Aber es wird über die Jahre eher schwieriger. Ich war früher cooler bei den Einsätzen, als ich es heute mit fast 40 Jahren bin.

Was hat es für Dich schwieriger gemacht?

Ich denke, man geht als junger Mensch gelassener an solche Sachen ran. Man sieht vieles cooler. Heute ist man sich vielen Gefahren bewusster. Früher dachte ich mir teilweise nicht so viel dabei, aber heute weiß ich, wenn man erwischt wird, speziell bei unseren Einsätzen im Ausland, kann dass das Ende bedeuten. Das weiß man. Man trägt ja auch Verantwortung. Und das Tierleid frisst sich auch ein bisschen in einen rein. Irgendwann schafft man es nicht mehr so gut, sich abzuschotten. Dann muss man eben noch mehr Ausgleich finden.

Wie gut bist Du abgesichert, um nicht im Gefängnis zu landen?

Eigentlich dürfte das nicht passieren, da wir uns nicht strafbar machen. SOKO Tierschutz hat aber für den Fall der Fälle ein Team von Anwälten, die uns vertreten. Sehr, sehr gute Leute, die sich in den für uns relevanten Bereichen gut auskennen. In den letzten 26 Jahren bin ich kein eines Mal verurteilt worden, habe keine Geldstrafe bekommen. Das heißt nicht, dass das ewig so bleiben wird. Es kann irgendwann Tag X kommen, wo die große Repression gegen den Tierschutz in Deutschland beginnt und dann bin ich wahrscheinlich auch ein Kandidat. Wer diese Arbeit macht, muss aber auch damit rechnen, dass es das Leben stark beeinträchtigt und sollte ich mal ins Gefängnis kommen, dann ist das halt so, das muss man genauso einkalkulieren. Dann hab ich endlich Zeit, mein Buch zu schreiben.

Wie wird der Titel lauten?

„Undercover für Tiere“. Die ersten Seiten sind schon geschrieben, aber es stagniert.

Das ist also tatsächlich ein Projekt, das realisiert werden soll?

Ja.

  • In Teil II des Interviews spricht Friedrich Mülln darüber, wie lange es die Massentierhaltung seiner Meinung nach noch geben wird. Dieser Beitrag wird in Kürze hier erscheinen.
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