Bevor er vegan wurde, hatte Nir Rosenfeld 22 Freunde auf Facebook. Heute sind es fast 5000. Dazu kommt seine Aktivisten-Seite. Die neue Lebensweise hat den aus Israel stammenden Vater von drei Kindern verändert. Er ist lauter geworden: Der Frankfurter Gastronom hat nicht nur Anfang 2019 sein Restaurant „Zeil Kitchen“ komplett veganisiert und vier Monate später mit dem „Kuli Alma“ ein zweites eröffnet. Nir Rosenfeld setzt sich auch privat für die Tiere ein, ist bei „Anonymous for the Voiceless“ sowie bei Organisationen in Israel aktiv. Im Interview spricht er über seinen Aktivismus in Israel, wie man ein veganes Restaurant aufzieht und welche Pläne er für 2020 verfolgt.


Du bist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel als Aktivist bekannt. Dort sind Gesellschaft und Politik schon weiter. Warum ist das so?

In Israel gab es bis vor fünf oder sechs Jahren vielleicht 0,5 Prozent Veganer. Tal Gilboa hat das geändert. Sie hat damals auf der Autofahrt eine weinende Kuh gesehen und den Bauern gefragt, warum sie weint. Er antwortete, dass die Kuh gerade von ihrem Kalb getrennt wurde, aber es sei ja nur eine Kuh. Sie antwortete ihm, dass eine Mama eine Mama sei. Damals hat sich ihre ganze Welt geändert, sie wurde sofort vegan. Sie hat etwas, das viele nicht haben: Sie ist sehr intelligent und sie hat vor nichts Angst. Sie war sehr laut, positiv laut. Sie stand mit einem Megafon vor einem Milchbetrieb, ist in Schlachthäuser gegangen, wurde bestimmt 15 Mal verhaftet. Danach wurde sie aber immer ins Fernsehen eingeladen. Als ich noch Fleisch gegessen habe, habe ich das auch einmal gesehn. Sie hatte davor Leichenteile von Tieren vom Schlachthof gesammelt und in mehrere Brunnen in Israel gelegt. Am israelischen Unabhängigkeitstag grillen viele Menschen in Parks. Auch dort hat sie Rinderköpfe und Putenfüße hingelegt. Das ganze Land war sauer auf sie. Dann wurde sie ins „Big Brother“-Haus eingeladen. Zu dieser Zeit herrschte Krieg in Israel. Damals ging es im Fernsehen auf allen Sendern nur um Kriegsberichterstattung. Ein einziger Kanal hat etwas anderes gezeigt. Deshalb hat fast ganz Israel diese Show gesehen. Sie war drei Monate in der Sendung, hat gewonnen und das ganze Haus veganisiert. Danach hat sie die Bewegungen „Total Liberation Israel“ und „Glass Walls Israel“ gegründet. Sie hat auch ein Dokumentationsprojekt gegründet. Es gibt weltweit keines, dass so viele Bilder und Videos von Farmen gemacht hat. Fast 10 Jahre lang ist sie mit Freunden an jedem Wochenende in solchen Farmen gegangen, immer an einem Samstag, da ist Ruhetag. Tal Gilboa hat auch ein Video von einem Schlachthof in Haifa veröffentlicht, indem ein Eritreer heimlich Video-Aufnahmen gemacht hat. Danach hat sie jeden Promi in Israel angeschrieben und gesagt, dass Sie den Film sehen sollen und sie sie dabei filmen möchte. Denn der Effekt, wenn ein nicht-veganer „Held“ das sieht und anfängt zu weinen, ist groß. Einer dieser Promis war Yair Netanjahu, der Sohn des Präsidenten. Er hat in Israel mehr Follower auf Instagram, als jeder andere. Er hat ja gesagt, die meisten haben abgelehnt. Seitdem isst er keine Tiere mehr. So ist die Tür zur Familie Netanjahu aufgegangen. Sie ist inzwischen Beraterin des Präsidenten für Tierrechtsfragen. Sie hat das Thema zum Mainstream gemacht.

Was können Gesellschaft und Politik in Deutschland von Israel lernen?

Ich denke, Israel hat einfach Glück gehabt, das diese Frau vegan geworden ist. Es braucht manchmal einfach die richtige Person und die richtige Zeit, um etwas zu ändern. Tal Gilboa ist sehr direkt. Sie sagt, was viele Leute nicht hören wollen. Wenn wir jemand hätten, der so charismatisch und klug ist, der alles für die Tiere tut, wäre das fantastisch.

Du planst gerade eine Aufklärungskampagne mit Werbeplakaten auf Straßenbahnen, so wie es das auch in Israel und Großbritannien schon gab. Kannst Du darüber schon etwas sagen?

Vorbild ist eine Hühner-Kampagne, die ich in Israel unterstützt habe. Das Plakat hing an einem Hochhaus, dass vielleicht halb so groß ist wie das Gebäude der Deutschen Bank. Millionen Menschen fahren da täglich vorbei. Man hat schreckliche Bilder gesehen, wie es die Zensur gerade noch erlaubt. Dabei standen nur wenige Sätze wie „schlecht für die Tiere, Umwelt und die Gesundheit“. So ähnlich will ich es auch hier machen. Ich plane jetzt gerade, weiß aber noch nicht genau, in welcher Form ich das machen will. Ob auf der Straßenbahn oder auf Postern, wie sie zum Beispiel Zirkusse aufhängen.

Du bist schon selbst in Israel in Tierfabriken gewesen. Was hast Du dort erlebt?

Es war sehr traurig, sehr schwer. Aber ich habe es keine Sekunde bereut. Ich gehe immer wieder hin. Viele sagen mir auch, mach das nicht mit deinen Kindern. Aber ich zwinge sie nicht. Ich sage nur Bescheid, dass ich gehe. Sie können auch mit der Oma an den Strand gehen. Aber sie wollen immer mit mir gehen. Wir gehen ja nicht in Schlachthäuser, sondern auf Hühner- und Kuhfarmen. Von weitem denkt man, dort sei alles okay. Aber es ist nicht okay. Es macht mich immer sehr traurig, wenn ich dort bin. Man weint viel, weil man sich so hilflos fühlt und nicht weiß, was man machen kann. Das ist ein Albtraum. Aber es ist Realität. So viele kranke Tiere, das kann man nicht beschreiben. Das muss man live sehen, das kann ein Film wie „Earthlings“ so nicht transportieren. Die Gerüche, der Blick der Tiere, das ist sehr schlimm.

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Du bist Teil des Projekts „Gastronomy Masterclass“. Welche Rolle spielst Du dabei?

Die Idee kommt von Sebastian Copien und Thomas Rohlfing. Wir machen gemeinsam mit Matthias Trupp ein Online-Seminar, indem ich meine Erfahrungen einbringe. Wir empfehlen da gar nicht, einen kompletten Umstieg auf 100 Prozent vegan zu machen. Wer sein Restaurant von heute auf morgen veganisiert, geht pleite. Das kann nur jemand, der selbst vegan lebt. Wir wollen, dass ein nicht-veganes Restaurant mehrere vegane Gerichte anbietet. Wir wollen sie überzeugen, dass sie damit mehr Umsatz machen. Denn die meisten Veganer gehen auch in nicht-vegane Restaurants, wenn es ein gutes veganes Angebot gibt. Nach und nach können Gastronomen dann immer mehr vegane Speisen einführen, bis sie irgendwann komplett vegan sind. Wir machen 10 kurze Filme, die 10 Minuten dauern, und in jedem Film erkläre ich einen Schritt, den ich selbst gemacht habe. Für mich war der Umstieg sehr schwer. Aber weil ich es aus ethischen Gründen gemacht habe, habe ich nicht gezögert. Wir wollen das für einen Nicht-Veganer einfach machen: Wo kauft man die Lebensmittel, wie vermarktet man das, wie kalkuliert man? Was ist vegan, was ist nicht vegan? Das war auch für mich kompliziert, obwohl ich schon ein paar Monate vegan war. Ich dachte, man nimmt einfach Ente, Hähnchen und Schwein heraus, aber das ist noch gar nichts. Fast jedes Produkt, dass ich auf der Karte hatte, hatte einen tierischen Bestandteil. Dabei soll gleichzeitig der Geschmack gleich gut bleiben und die Kosten nicht höher werden. Das war anfangs schwer, aber wenn man umgestellt hat, ist es leicht. Heute ist es sehr einfach, jetzt weiß ich genau, worauf ich achten muss.

Was ist der größte Fehler, den man als veganer Gastronom machen kann?

Ob vegan oder nicht vegan – ich würde niemandem empfehlen, ein Restaurant zu eröffnen, der nicht aus der Gastronomie kommt. Es gibt so viele kleine Faktoren, die stimmen müssen. Viele Läden machen zu, selbst große Ketten. Aber wenn du schon Gastronom bist, macht es keinen Unterschied. Ich würde sogar im Nachhinein sagen, dass ein veganes Restaurant einfacher ist. Es ist fast alles gleich, ob Buchhaltung, Marketing, Personal, Küche, Sauberkeit. Auch die meisten Speisen kann man leicht vegan machen. Wenn man schon Gastronom ist, braucht man einfach nur gute, geile, leckere Rezepte.

Wie verkauft man „vegan“ als Gastronom? Sollte man sein Restaurant „vegan“ labeln?

Auf keinen Fall. Wenn man ein nicht-veganes Restaurant hat, sollte man überall ganz groß schreiben, dass man auch veganes Essen anbietet. Wenn man aber ein rein veganes Restaurant hat, muss man das gar nicht schreiben. Wenn ein Steakhouse einen veganen Burger anbietet, würde das ein Fleischesser nicht mitbekommen, und er würde es leider auch nicht essen. Falls er es mitbekommen hat, würde es ihn auch nicht stören – Hauptsache er bekommt sein Steak. Wenn dieser Fleischesser aber an einem veganen Restaurant vorbeikommt, wo überall „vegan“ steht, kann es sehr gut sein, dass er weiterläuft und nicht reingeht. Auf der Speisekarte steht das, aber es fällt nicht jedem auf. Wenn die Gäste erst einmal im Restaurant und zufrieden mit Essen, Service und Preis sind, dann kann man das erwähnen. Das Wort „vegan“ ist für viele immer noch ein Tabu. Die Leute wollen für ihr Geld was gutes Essen. Von Veganern glauben sie, dass sie aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen vegan sind, und sich dafür opfern. Das will der Fleischesser aber nicht. Die Leute müssen erst lernen, dass vegan sowohl sehr gut als auch sehr schlecht sein kann, genauso wie Fleisch, wenn es allein um den Geschmack geht. Vegan ist kein geschmacklicher Kompromiss.

Du sprichst viel mit Deinen Gästen. Was erzählst Du und wie sind die Reaktionen?

Ich liebe das. Manchmal sagen mir meine Mitarbeiter Bescheid, wenn Gäste nicht glauben, dass das kein Fleisch ist, was sie da essen. Wenn sie dann fragen, ob das wirklich vegetarisch sei, flüstere ich ganz leise, dass das sogar vegan ist (lacht). Ob Fleisch oder Pflanzen, es kommt auf die Gewürze und die Zubereitung an. Deshalb sage ich den Leuten immer, den Menschen schmeckt kein rohes Fleisch, auch Tartar und Carpaccio ist nicht roh. Wir mögen nur gewürztes Fleisch, zubereitet. Mit Eiern oder Milch ist es dasselbe. Viele Pflanzen hingegen kann man gut roh essen. Wenn ich dann ein Gericht habe, dass schlecht für die Umwelt und die eigene Gesundheit ist und wofür ein Tier sterben musste, warum soll ich das noch essen, wenn ich auch was anderes leckeres aus Pflanzen essen kann?! Jeder, dem ich das erzähle, guckt mich an und sagt, dass er nie so darüber nachgedacht hat.

Das Umsatz-Plus im „Zeil Kitchen“ haben wir den veganen Aktivisten zu verdanken.

Hat es Dir für Dein Business geholfen, dass du im Aktivismus so gut vernetzt bist?

Auf jeden Fall. Es gibt zwar nur ein- bis zwei Prozent Veganer, sodass ein Laden allein von diesem Publikum nicht leben kann. Die meisten meiner Gäste sind immer noch Nicht-Veganer. Das ist auch sehr gut. Aber ins Zeil Kitchen kommen deutlich mehr als ein- oder zwei Prozent Veganer. In beiden Läden sind es mehr als zehn Prozent. Ein Großteil von ihnen sind Aktivisten. Am Zeil Kitchen kann man das auch am Umsatz sehen: Dort haben wir seit der Umstellung Anfang 2019 mehr Umsatz gemacht, als die beiden Jahre zuvor. Und das durch die Aktivisten. Durch deren Unterstützung. Denn einen kleinen Anteil an Gästen haben wir nun einmal doch verloren, weil wir vegan geworden ist. Das Umsatz-Plus haben wir den veganen Aktivisten zu verdanken.

Im Zeil Kitchen finden öfter Vorträge von bekannten Veganern wie Niko Rittenau, Earthling Ed oder das Dinner mit Timo Franke statt. Wird es davon in Zukunft mehr geben?

Ja. Ich plane etwas mit Thomas Glässing im Januar. Und auch Vorträge wie mit Earthling Ed wird es wieder geben. Ich habe einen Kontakt zu That Vegan Couple. Sowohl im Bereich Aktivismus als auch im Bereich Kulinarik wird es weitere Veranstaltungen geben.

Welche Pläne hast Du für 2020? Wird es ein weiteres Restaurant in Frankfurt geben?

Ja. Wir arbeiten an einem Fastfood-Konzept. Das „Kuli Alma“ und vor allem das „Zeil Kitchen“ kann man nicht duplizieren. Da bräuchte man noch so eine gut frequentierte Einkaufsmeile. Ein zweites „Kuli Alma“ würde vielleicht super laufen. Aber da bräuchte ich mehr Leute, die so ticken wie ich. Ich bin jeden Tag hier – den ganzen Tag. Das macht mir auch sehr viel Spaß. Ich rede viel mit meinen Gästen. Das kann ich aber nicht in zwei oder drei Läden machen. Deshalb will ich mehr kleinere Läden mit einem einfachen Konzept. Wir fangen mit einem Laden an und wenn es gut läuft, optimieren wir das und machen weitere Läden auf. Es wird keinen Service sondern Selbstbedienung geben, so wie beim „Zeil Express“ (Imbiss am „Zeil Kitchen“), nur ein bisschen größer – ähnlich wie in der „Hummus Küch“. Dabei geht es darum, maximal viele Menschen zu erreichen, nicht, um den Umsatz zu maximieren. Wenn ich die Preise erhöhe und deshalb weniger Gäste habe, ist das nicht gut für die Tiere. Natürlich brauchen wir auch vegane Schickimicki-Restaurants, aber ich will mehr in die Masse gehen, um maximal viele Menschen zu erreichen. Deshalb gibt es auch gerade das Angebot im „Zeil Express“, zwei Essen zum Preis von einem zu kaufen. Ich verkaufe damit mehr Essen und mache den gleichen Umsatz. Aber damit erreicht man mehr Leute. Jetzt ist die Zeit, um die Leute davon zu überzeugen, dass vegan lecker schmeckt. Ich hoffe, dass wir 2020 schon einen Laden eröffnen können. Wir arbeiten noch am Konzept, ich schaue aber auch schon parallel nach Läden. Wenn ich morgen einen geilen Laden bekomme, machen wir das Konzept eben schneller fertig. Professionell und ohne Stress sollten wir aber lieber noch ein paar Monate warten.

Die Zukunft ist vegan, weil …

… wir keine andere Möglichkeit haben. Ich selbst würde sagen, dass alles andere moralisch nicht vertretbar ist. Aber der Grund, warum die Zukunft vegan sein wird, ist aus Umweltgründen. Leider.

Hier geht’s zum exklusiven Hummus-Rezept aus dem „Kuli Alma“.

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